Ein Plädoyer für Reisevorträge mit Inhalt

Am vergangenen Wochenende hörte ich bei einem Wettbewerb in Dresden von Vortragsveranstaltern folgende Kritik an meinem Marokkovortrag: zu viele Reportagen zu ernsten Themen, zu viel Politik, wir machen Reisevorträge. Hier einige schüchterne Anmerkungen dazu.

Es scheint ein grundsätzliches Missverständnis zu geben, was Reisevorträge sind. Reisevorträge sind nicht Tourismuswerbung. Schöne Bilder aneinanderzureihen und ein bisschen Smalltalk mit Einheimischen hat wenig mit dem zu tun, was Reisen für mich ausmacht. Es geht mir darum in ein Land einzutauchen und etwas darüber zu erfahren, wie die Leute denken und warum sie so denken. Und jeder ernsthaft Reisende weiß: Nicht alles, was man in fremden Ländern sieht, ist schön und nicht alle sind lieb und nett. Reisereportagen, die nur auf heile Welt machen, haben wenig mit der Wirklichkeit zu tun.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Marokko ist ein wunderbares Land. Die verspielte Art der Marokkaner, die Theatralik der Händler auf den Souks, die arabische Architektur in der Medina von Marrakesch, die Lehmburgen und Berberdörfer im Hohen Atlas — das alles ist ein real gewordenes Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Nur negative Geschichten würden diesem Land bei Gott nicht gerecht werden. Trotzdem gibt es in meinem Vortrag auch harte Kost: Eine muslimischen Frau spricht mit mir über ihre Probleme in der marokkanischen Männergesellschaft, ein Flüchtling vor der spanischen Enklave Melilla erzählt, warum es für ihn kein Zurück gibt, und eine Unabhängigkeitsaktivistin in der Westsahara berichtet über ihren Kampf gegen die Windmühlen der Weltpolitik.

Selbst wenn jemand kein Hardcore-Reisender ist — solche Geschichten schärfen den Blick für das, was man sieht und man kann Zwischentöne in Gesprächen leichter deuten. Zum Beispiel wenn eine junge Studentin knapp vor der Ankunft in ihrem Heimatdorf noch schnell ein Kopftuch aufsetzt oder wenn der Fahrer des Jeeps vor den Terroristen in der Westsahara warnt. Die Angst nur ja keine politischen Geschichten ist unagebracht. Politik bestimmt den Alltag der Menschen. Natürlich gehört Politik auch in Reisevorträge.

Diavorträge sind eine mächtige Erzählform, weil sie auf vielen Ebenen kommunizieren: Bild, Musik, Text und natürlich die Ausstrahlung des Referenten auf der Bühne. Es wäre unendlich schade, wenn dieses Medium zu billiger Tourismuswerbung verkommt.








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